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Rhythmomachie

Rhythmomachie

(in div. Schreibweisen, auch Arithmomachie oder "Das Spiel der Philosophen")

Grundlegendes

Ein äußerst komplexes Spiel auf Basis mathematischer Regeln, ursprünglich 1030 durch den Mönch Asilo als Illustration der Zahlentheorie Boethius ("De institutione arithmetica") erfunden, später vielfach verändert und weiterentwickelt, schließlich im 13. Jahrhundert nach England gebracht, wo es von Roger Bacon und Thomas More ("Utopia") erwähnt wird. Bis zum 16. Jahrhundert relativ bekannt (angeblich ähnlich bekannt wie Schach), verlor es ab dem 17. Jahrhundert seine Beliebtheit und verschwand, bis es im späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert von Historikern wiederentdeckt wurde.

Äußerlich ähnelt das Spiel ein wenig Schach oder Dame: Gespielt wird auf einem Brett mit 8*16 Feldern, mit 2 x 24 Spielsteinen von zwei verschiedenen Farben. Ähnlich wie beim Schach gibt es verschiedene Spielsteine (Kreise, Quadrate, Dreiecke und die Pyramide), die allerdings verschiedene Zahlen tragen. Hier unterscheidet sich das Spiel stark vom Schach und Dame, da die beiden Spieler verschiedene Zahlen auf ihren Spielsteinen haben - wer von beiden dabei jedoch den Vorteil hat, ist umstritten. Es gibt sehr viele Varianten des Spieles.

Spielfiguren

Die Spielfiguren des Rhythmomachie sind für gewöhnlich in Kreise, Quadrate und Dreiecke sowie einen Turm eingeteilt. Alle Spielfiguren tragen eine Zahl (auf beiden Seiten die gleiche) und haben die zwei verschiedenen Spielfarben (z.B. schwarz und weiß) auf den beiden Seiten (also eine Seite ist z.B. weiß, die andere schwarz). Der Turm (auch König oder Pyramide genannt) kann entweder eine spezielle Spielfigur sein oder aus mehreren Spielsteinen bestehen, die aufeinander gelegt werden (deshalb Pyramide). Die Spielsteine tragen folgende Zahlen:

2

4

6

8

3

5

7

9

4

16

36

64

9

25

49

81

6

20

42

72

12

30

56

90

9

25

49

81

16

36

64

100

15

45

91

153

28

66

120

190

25

81

169

289

49

121

225

361

Die erste Zeile (die Zahlen 2 bis 9) stellt die "Basis" dar. Diese Basis wird in gerade und ungerade Zahlen geteilt, um die beiden "Heere" festzulegen (die linken 4 x 6 Zahlen sind das gerade Heer, die rechten 4 x 6 das ungerade Heer). Die folgenden Zeilen ergeben sich durch Berechnung aus den Zahlen der Basis.
Die zweite Zeile ergibt sich aus dem Quadrat der Zahl (in der gleichen Spalte) in der ersten Zeile.

Die dritte Zeile ist die Summe der Zahlen (der gleichen Spalte) aus der ersten und zweiten Zeile.
Die vierte Zeile ist die Zahl der ersten Zeile plus 1, zum Quadrat.

Die fünfte Zeile ist die Summe der Zahlen der gleichen Spalte aus der dritten und vierten Zeile.
Die sechste Zeile ist die Basis (Zahl der ersten Zeile) mal zwei plus 1, zum Quadrat.

Man nennt die 1. und 2. Zeile Multiplices (meistens durch kreisförmige Spielfiguren dargestellt), die der 3. und 4. Zeile Superparticulares (Dreiecke) und die der 5. und 6. Zeile Superpartientes (Quadrate).

Eine Ausnahme bildet der Turm (oder König): Dieser ergibt sich aus der Summe einiger Quadratzahlen:

Für die geraden Zahlen die Summe Quadratzahlen von 1 bis 36 (= 91), für die Ungeraden die Summe der Quadratzahlen von 16 bis 64 (=190). Je nach Variante ist der Turm eine einzelne Spielfigur (und wird als ganzes geschlagen) oder ist eine Pyramide aus entsprechenden "Teilsteinen" (die dann einzeln geschlagen werden müssen). In jedem Fall ersetzt er die Spielfigur mit der entsprechenden Zahl (91 und 190).

Ein Bild des Spielbretts mit diesen Steinen:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d3/Ritho.jpg

Züge

Das Ziehen von Figuren ist nicht ganz trivial, insbesondere weil es hier verschiendeste Varianten gibt. Aus diesem Grund beschränke ich mich erst einmal auf eine simple Variante und verzichte (erstmal) auf "reguläre" und "irreguläre" Züge. In diesem Fall gilt generell, dass keine Steine übersprungen werden können. Die ungeraden Zahlen machen den ersten Zug.

Die kreisförmigen Figuren bewegen sich horizontal oder vertikal "in das zweite Feld". Achtung: Das Startfeld wird mitgezählt, die Figur bewegt sich also effektiv um ein Feld vorwärts.

Die dreieckigen Figuren bewegen sich ausschließlich diagonal, und zwar "in das dritte Feld" (also exakt zwei Felder weit).

Die quadratischen Figuren bewegen sich in alle sechs Richtungen (horizontal, vertikal, diagonal) und zwar "in das vierte Feld" (also exakt drei Felder weit).

(Andere Variante: Kreise bewegen sich diagonal, Dreiecke und Quadrate horizontal und vertikal)

Der Turm nimmt eine Sonderstellung ein, er kann sich bewegen wie jedes beliebige seiner Teile (er besteht ja aus verschiedenen Quadratzahlen, der Spieler kann sich aussuchen, wie welche dieser Zahlen (wäre sie eine eigene Figur) der Turm sich bewegen soll). Für gewöhnlich bedeutet das, dass der Turm immer die freie Auswahl hat, sich wie ein Dreieck, Quadrat oder Kreis zu bewegen (in den Varianten, in denen der Turm wirklich aus einzelnen Steinen besteht, die einzeln geschlagen werden können, sind seine Möglichkeiten natürlich ggf. im Spiel veränderlich).

Schlagen und Gefangennehmen

Interessant bei diesem Spiel ist, dass Figuren gefangen genommen werden. Sie werden dann umgedrecht (damit sie die andere Farbe zeigen) und können später vom neuen Besitzer wieder ins Spiel eingeführt werden. Gefangennahme ist nicht optional, sie muß gestehen. Passiert sie VOR dem eigentlichen Zug (z.B. wenn der Gegner seine Figur ungünstig heran geführt hat) nimmt die gefangen nehmende Figur den Platz der gefangenen Figur ein. Passiert sie nach dem eigentlichen Zug, bleibt das Feld der gefangen genommen Figur leer.

Gefangene Figuren können statt eines normalen Zuges wieder auf das Brett gebracht werden. Dabei wird sie auf ein beliebiges, freier Feld an der Seite des Spielers gelegt. Dabei können durchaus auch Gefangennahmen passieren.

Es gibt vier (einfache) Arten, um eine Spielfigur gefangen zu nehmen:

Durch Begegnung

Kommt eine Spielfigur 1 so an eine andere Spielfigur 2 (welche die gleiche Zahl trägt) heran, dass sie beim nächsten Zug deren Feld erreichen könnte, wird die Spielfigur 2 gefangen und vom Feld genommen.

Durch Hinterhalt

Sind zwei Spielfiguren 1 & 2 eines Spielers so nahe an einer gegnerischen Figur 3, so dass sie im nächsten Zug auf deren Feld kommen könnten, können sie diese gefangen nehmen, wenn ihre Summe oder Differenz (in manchen Varianten auch Produkt oder Quotient) gleich der Zahl der gegnerischen Figur ist.

Durch Angriff

Wenn eine Spielfigur 1 auf einer Linie (horizontal, vertikal oder diagonal) mit einer gegnerischen Figur 2 liegt, so kann sie diese gefangen nehmen, falls die Anzahl der Feld die zwischen ihnen liegen, ihrem Produkt oder Quotient entsprechen. Die Felder dazwischen müssen hierfür leer sein.

Durch Belagerung

Wenn eine Spielfigur von gegnerischen Figuren so eingekreist ist, dass sie keinen Zug mehr durchführen kann, kann sie gefangen genommen werden.

Sonderstellung des Turms

Interessant ist hier die Behandlung des Turmes: Er kann entweder als ganzes gefangen genommen werden (dafür gilt seine Zahl als die Summe seiner aktuellen Teile) oder Teile von ihm können gefangen genommen werden. Er kann entweder als ganzes (also mit seiner Zahl) gefangen nehmen oder ein beliebiges seiner Teile nutzen um gefangen zu nehmen. Er teilt sich dabei aber niemals wirklich.

Sieg

Sieg ist bei Rhythmomachie keine einfache Sache, denn es gibt viele verschiedene Siegesvarianten, manche "gewaltiger" als andere. Deshalb unterscheidet man zwischen "gewöhnlichen" und "echten" Siegen:

Gewöhnliche Siege

  • Sieg des Körpers: Man nehme eine bestimmte Anzahl an Figuren gefangen
  • Sieg des Besitzes: Man nehme eine bestimmte Summe an Figurenwerten gefangen
  • Sieg der Einnahmen: Man nehme eine bestimmte Anzahl an Ziffern gefangen
  • Kombinationen der obigen

Echte Siege

Die wahre Kunst liegt darin, im Feld des Gegners eine "Harmonie" aus drei oder vier Steinen zu etablieren. Die Steine des Gegenrs können in der Harmonie verwendet werden, dürfen aber nicht der letzte Stein in der Harmonie sein. In manchen Varianten muß auch der Turm gefangen genommen werden, bevor eine Harmonie etabliert werden darf. Hierbei gibt es drei Arten der Harmonie:

Arithmetische Harmonie: Die Differenz der "linken" und "mittleren" Zahl ist gleich der Differenz der "mittleren" und "rechten" Zahl, z.B. 2:4:6. Mathematisch: b - a = c - b

Geometrische Harmonie: Wenn die Division der "linken" durch die "mittlere" Zahl gleich der Division der "mittleren" durch die "rechten" Zahl entspricht, zum Beispiel 5:10:20. Mathematisch: (a / b ) = ( b / c)

Musikalische Harmonie: Die Division der kleinsten und größten Zahl entspricht der Division der Differenz der beiden größten und der beiden kleinsten Zahlen, z.B. 6:8:12. Mathematisch: (a / c) = [ (b - a) / (c - b) ]

Um ein schnelles Spiel zu gewährleisten, werden die Harmonien häufig nicht einzeln berechnet, sondern in Tabellen nachgeschlagen. Solche finden sich z.B. im Heligonischen Text über den Nexus Corenae

Es ergeben sich also folgende echte Siege:

  • Ein kleiner Sieg gelingt, wenn man eine der obigen Harmonien mit drei Steinen im Feld des Gegners etabliert
  • Ein großer Sieg gelingt, wenn man zwei der obigen Harmonien mittels vier Steinen im Feld des Gegners etabliert (die Harmonien überschneiden sich also)
  • Ein gewaltiger Sieg gelingt, wenn man alle drei Harmonien mittels vier Steinen im Feld des Gegners etabliert

Varianten

Es gibt viele Varianten dieses Spieles, zum Beispiel eine etwas einfachere mit weniger Möglichkeiten, die im Text über den Nexus Corenae (eine heligonische Gruppierung) beschrieben wird (s.u.).

Heligonischen Text über den Nexus Corenae Enthält eine Beschreibung, imho aber nicht die klarste (und ach nur eine sehr spezielle Variante), die Tabellen sind aber sehr hilfreich.

"Spiel mit Zahlen - Kampf mit Zahlen? - Das Mittelalterliche Spiel Rithmomachie in seiner Regensburger Fassung um 1090" (deutsche Universitätsarbeit)

Rithmomachy in der (engl.) Wikipedia Kurze Beschreibung

Rhythmomachy Basics Einführung und Regeln

The Philosopher's Game (engl. Übersetzung eines Textes von 1554)

Rithmomachia, the Philosophers' Game Eine Beschreibung

Rules to Period Games - hat noch ein paar mehr Links

Käufliches

Das "Rithmomachie" ist halbwegs LARP-tauglich, der Spielplan ist immerhin aus Stoff (wenn auch mit Aufdruck "Regensburger Rithmomachie" und dem Logo des Herstellers "Heros"), die Steine aus Holz (leider jeweils nur einfarbig, also schwarze und weiße Steine). Die Pyramide ist (leider) auch nur ein spezieller Stein (und besteht nicht aus mehreren Steinen). Trotzdem ist diese Variante besser als nichts. Zu beziehen zum Beispiel beim Regensburger Pustet (dort für EUR 24,95), aber auch im Internet im Heros OnlineShop (EUR 22,10).