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Meinung/Spielphilosophie/RegelDiktiertSpielstil

Schreibe nur Regeln in Dein Regelwerk, die die Spieler auch benutzen dürfen

Beispiel Todesstoß

Auf der Mehrzahl der Mainstream-Fantasy-Spiele mit Punkteregeln, die ich bis jetzt besucht habe, bestand "offiziell" die Möglichkeit zu sterben, es galt aber das ungeschriebene Gesetz, daß man SCs nicht wehtut. Hartes PvP-Spiel war meistens verpönt und NSCs wurden von der Spielleitung angewiesen, keine Todesstöße einzusetzen.

Auch in den häufigen Netzdebatten über Charaktertod und Opferregel schreiben viele Leute, daß sie Todesstöße schon irgendwie total wichtig finden und daß man schließlich sterben können muß, aber daß sie selbst nie im Leben einen Todesstoß setzen würden und diesen auch nur "wenn gut gespielt" oder "in der richtigen Situation" gutheißen würden. Oftmals sind auch nur Todesstöße gegen NSCs geduldet, die Tötung eines Spielercharakters ist jedoch gemäß ungeschriebenem Gesetz im Zweifel zu Vermeiden. Eine Orga, die den NSCs Todesstöße erlaubt, gilt als übertrieben hart. "Psychopathische Massenmörder" oder "destruktive Pappnasen" werden durch die Bank auch von Verfechtern der Todesstoßregel abgelehnt.

Kürzlich beschrieb in einem Forum jemand eine Situation, in der ein Spieler nach einer Schlacht "reihenweise" Todesstöße verteilt habe und "zum Glück" sei da eine SL eingeschritten und habe die ganzen Todesstöße wieder rückgängig gemacht. Hierfür fehlt mir ehrlich gesagt jedes Verständnis. Warum installiert ein Veranstalter ein Regelwerk, das ein bestimmtes Regelinstitut verwendet, und macht dann die Folgen dieser Regel per SL-Eingriff in das Spiel wieder ungeschehen?

Die eigentliche Kernfrage ist hier, aufgrund welcher Richtschnur es für falsch erklärt wird, einen Charakter zu spielen, der mit einer klaren Tötungsabsicht in den Kampf geht. Die Regeln können es nicht sein, denn diese enthalten alle Kriterien, die einen solchen Charakter legitimieren. Andere ausformulierte Leitfäden gibt es meist zu diesem Thema nicht. Alles was bleibt ist eine diffuse Auffassung von "schönem" Rollenspiel, die als Konsens unterstellt oder bestenfalls von einer Minderheit im Veranstalter-Forum ausdiskutiert wird. Angesichts der Tatsache, daß es einige kleinere Veranstalter gibt, bei denen eben der genannte Nervenkitzel durch Todesgefahr Programm ist, erscheint es zweifelhaft, ob so ein Konsens auf einer größeren Veranstaltung ohne Weiteres unterstellt werden kann.

In ein Regelwerk eine Regel hineinzuschreiben, die man tunlichst nicht benutzen wollen soll, die aber angeblich da sein muß, damit man darf, wenn man will, was man normalerweise nicht soll, erschiene mir paradox. Also muß davon ausgegangen werden, daß die Regel auch benutzt werden darf.

Man mag einwenden, daß im Einzelfall die paradoxe Situation auf einer Veranstaltung nur dadurch entsteht, daß der Veranstalter, der das Regelwerk formuliert, einerseits und ein oder mehrere Teilnehmer der Veranstaltung andererseits verschiedene Einstellungen zum Todesstoß haben und möglicherweise auch eine Spielleitung eher im Sinne dieser Teilnehmer entscheidet. Aber damit bleibt die Situation dennoch paradox. Der Spieler ist dann streng genommen auf der Veranstaltung falsch und der Veranstalter hat streng genommen die falsche Person zum Spielleiter bestellt.

Im Übrigen trifft man wie gesagt z.B. in Forendiskussionen nicht selten Personen und Personengruppen an, die beide widerstrebenden Haltungen zum Todesstoß gleichzeitig vertreten.

Diese Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß-Nummer, eine harte Todesregel ins Regelbuch zu schreiben, die aber bitte kein Spieler benutzen soll, oder höchstens unter irgendwelchen diffusen Nebenbedingungen von "gutem Spiel" oder "passender Situation" ist doch letztlich scheinheilig. Wozu braucht man eine Regel, deren Anwendung aber letztlich mehrheitlich nicht erwünscht ist?

Ein Hauptkritikpunkt an Opferregel und punktelosem Spiel ist die angeblich fehlende Orientierungshilfe für den Spieler, der nicht ermessen könne, welche Darstellung ausreichend und welche Reaktion auf Spielangebote angemessen sei. Der ungewollte Todesstoß ist letzlich noch verwirrender für den Neuling oder den Spieler, der mit einem gegebenen Spielumfeld nicht vertraut ist, denn hier stehen erklärte Regel und gewollte Spielkultur sogar im direkten Widerspruch. Wer sich an die konkret ausformulierte Regel hält, läuft dennoch Gefahr, sich unbeliebt zu machen. Wo ist denn die Grenze zur "destruktiven Pappnase"? Welches sind die ungeschriebenen Kriterien, unter denen man einen akzeptierten Todesstoß anbringen darf und was gilt auf der jeweiligen Veranstaltung als "gutes Spiel"?

Wenn es im Regelwerk einen Todesstoß gibt, hat ein Spieler jedes Recht, einen Todesstoß zu setzen. Wenn man das nicht will, soll man eben keinen Todesstoß in sein Regelwerk schreiben. Oder zumindest die Nebenbedingungen als Regelwerksbestandteil formalisieren.

Beispiel Fightermage

Ein ähnlicher Sachverhalt zeigte sich neulich im Forum einer Großveranstaltung, wo über die Frage diskutiert wurde, ob Magier bestimmte Waffenfertigkeiten nutzen dürfen. Laut des verwendeten Regelwerks haben Magier prinzipiell auch Zugang zu allen Waffenfertigkeiten. Es gibt dort keine Regel, die irgendeine Einschränkung für Magier begründen würde. Dennoch bemängeln viele Spieler Magier, die Waffen verwenden als "Powergamer" und "Charakteroptimierer".

Zwar ist es richtig, daß oftmals Charaktertipps zu bestimmten Klischeeverhalten und damit auch zu Spezialistentum raten, aber das sind optionale Empfehlungen. Autoritativ sind die Regeln und Hintergrundbeschreibungen einer Veranstaltung. Einen anderen Maßstab als die Spielregeln und die Hintergrundbeschreibung kann es für die "Stimmigkeit" eines Charakters auf einer Großveranstaltung kaum geben.

Wer sich an die Regeln der Veranstaltung hält, kann soviel Powergamen, wie er will. Charakteroptimierung und Powergaming sind im Rahmen eines niedergeschriebenen Regelwerks völlig legitim. Dafür hat man es doch.

Ob jemandem bestimmte Fertigkeitskombinationen "stimmig" erscheinen, ist relativ irrelevant. Mit der Teilnahme akzeptiert er das Regelwerk und erklärt sich dazu bereit, an sich und anderen im Spiel alles zu akzeptieren, was die Regeln an Möglichkeiten bieten. Wenn ihm davon etwas nicht recht ist, hat er halt die Zähne zusammenzubeißen. Als Freund punkteloser Regelwerke muß ich selbst das ja im besonderen Maße auch, wenn ich nach einem punktebasierten Großcon-Regelwerk spiele.

Wie mir selbst regelmäßig vorgehalten wird, liest nur ein Bruchteil der Teilnehmer LarpForen oder das LarpWiki. Folglich hat auch nur ein Bruchteil aller Teilnehmer einer Großveranstaltung überhaupt eine andere Möglichkeit, festzustellen, was als legitim gilt, als eben das Regelwerk und die Hintergrundinfos. Irgendwelche durch das Regelwerk vorgesehene Konstellationen nun aufgrund irgendwelcher individuellen (oder durch Konsens eines Bruchteils der Teilnehmer ermittelten) Auffassungen von "gutem" oder "klischeegerechtem" Spiel für nicht legitim zu erklären, ist diesen Leuten gegenüber reichlich unfair. Das Regelwerk setzt den Rahmen. Jede "Charakteroptimierung" oder jegliches "Powergaming", das sich in seinem Rahmen bewegt, muß als legitim gelten. Andernfalls sind die Regeln eben entsprechend zu ändern (hier etwa Magiern der Zugang zu Waffenfertigkeiten zu erschweren oder gar zu verwehren).

Powergaming und Charakteroptimierung sind gerechtfertigt, sofern regelkonform. Andernfalls würden die Regeln nicht den angestrebten Spielstil repräsentieren und wären deshalb mangelhaft. Regelkonformes Spiel als verwerflich anzuprangern ist widersinnig.

Aber punktelose Regeln...

Hier mag man mir jetzt entgegnen, daß doch die von mir bevorzugten punktelosen Regelwerke eigentlich fast vollständig darauf vertrauen, daß die Spieler von sich aus stimmige Konzepte entwickeln. Jegliche Kontrolle durch Regelwerksmechanismen fällt hier doch weg. Wie also verträgt sich das mit der Überschrift dieses Textes?

Der Knackpunkt ist, daß punktelosen Regeln ein gänzlich anderes Paradigma zu Grunde liegt. Die Aufforderung, stimmige Spielkonzepte aus eigenem Antrieb zu entwickeln, wird hier durch die Regel impliziert. Selbstbeschränkung ist oberste Grundlage der Regel. Wer punktelose Regeln verwendet, dem sollte von vorne herein klar sein, daß die fehlenden formalen Beschränkungen durch das Regelwerk keinen Freibrief zur Beliebigkeit bedeuten.

Das genau ist beim fertigkeitenbasierten Punkteregelwerk aber anders. Ein solches Regelwerk vermittelt den Anspruch, das Spiel eben explizit durch die konkret niedergeschriebenen Mechanismen der Charaktererschaffung und der Konfliktauflösung zu regeln. Genau das ist, wie bereits geschrieben, ja oft der Hauptvorteil, der diesen Regelwerken gegenüber dem punktelosen Spiel zugeschrieben wird. Wenn ich aber nach einem Regelwerk mit solchen konkret vorgeschriebenen Spielmechaniken spiele, dann muß ich auch davon ausgehen können, daß alle Charaktere, die ich nach diesem Regelwerk erschaffe, und alle Aktionen, die ich mit den verfügbaren Fertigkeiten regelkonform durchführen kann, im Rahmen der gewünschen Spielbalance sind.

Fazit

Fertigkeitenbasierte Punkteregeln folgen einem Regelparadigma, demzufolge die Charakterpunkte, die Fertigkeitenliste und die Punktekosten für die Fertigkeiten den Rahmen für die Charaktergestaltung bilden. Die Regeln diktieren den Spielstil, insbesondere auf Großcons, wo nicht davon ausgegangen werden kann, daß irgendwelche ungeschriebenen Gesetze über "gutes Spiel" durch stillschweigenden Konsens zur Geltung kommen. Wenn man also bestimmte Regelmechanismen oder Fertigkeitskombinationen nicht haben will, sollte man sie tunlichst auch nicht ins Regelwerk schreiben.

--RalfHüls, 2007-07-02/2007-07-30