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CharakterGeschichteEnno

Eine exemplarische Charaktergeschichte

Kurze Einleitung: Die Geschichte ist als Charaktergeschichte für den Charaktergeschichtenwettbewerb der Larpinfo entstanden und von dort hierhin überführt worden. Sie mag Anfängern als Anregung für eigene Charaktergeschichten dienen, aber bitte nicht kopieren! Den Charakter Enno spiele ich nämlich noch. OpaTobi, 26.10.04

Enno

"Ich bin Enno, Sohn des Hein, und komme aus Weretina, das ist in Falen. Also, viel habe ich nicht zu erzählen. Mein Vater Hein, der ist Fährmann auf der Ruhr, und meine Mutter züchtet die dicksten Gänse in Weretina - sogar fetter als die vom Kloster, wie Abt Remigus zugibt. Insgesamt sind wir fünf, denn ich habe noch einen Bruder, den Ludger, der auf der Fähre hilft, und eine Schwester Frieda, aber die ist schon lange verheiratet. Ich habe auch früher auf der Fähre geholfen, vor dem Streit mit Bruder Stefan vom Kloster, wegen dem ich weg bin.

Der Streit? Ach, das war eigentlich nichts ernstes. Bruder Stefan sieht immer alles sehr eng. Worum es um den Streit ging? Ja, also, bei uns in der Nähe, auf der anderen Seite des Flußes, wohnte dieser Alte, Godewin hieß er. Er war etwas sonderbar, sprach etwas verdreht und das auch noch wie die Leute aus Sachsen-Waldeck. Außerdem behauptete er, er sei mal Ritter gewesen, bevor Odin mit ihm gesprochen habe. Wirklich etwas sonderbar, was? Mit Odin gesprochen!

Aber er konnte wirklich tolle Geschichten erzählen über Ritter, Drachen und solche Sachen. Wir Kinder haben ihm oft zugehört. Das fand Bruder Stefan schon nicht gut, der wollte nämlich immer, daß wir im Kloster helfen und seine Geschichten zuhören sollten, wenn unsre Eltern uns nicht brauchten, aber seine Heiligengeschichten waren immer langweilig. Immer waren die Heiligen gut, wurden versucht, blieben standhaft und wurden Martyrer.

Da waren Godewins Geschichten besser. Na ja, und dann kam der Tag - ich war fünfzehn - als ich allein bei Godewin saß und der Alte mir von den Runenmeistern erzählte, die Magie wirken würden, und daß er selbst etwas Wissen der Runen hätte. Ich habe es nicht geglaubt, aber er hat es mir gezeigt: Er sprach einige seltsame Worte, malte Runen in den Staub, berührte dabei sein altertümliches Schwert und behauptete dann, es sei jetzt magisch. Er ließ es mich sogar in die Hand nehmen, und es fühlte sich tatsächlich anders an, irgendwie wärmer, ja lebendiger. Meine Augen müssen geleuchtet haben vor Freude, denn Godewin meinte dann, selbst ich könne solche Magie lernen. Er hat mir es dann beigebracht, viele Abende an, bis ich es konnte und die Waffe lebendig machen konnte. Er hat mir noch mehr Runenmagie gezeigt, aber das hat alles nie richtig geklappt. Godewin sagte, ich würde eigentlich nicht wollen, deshalb könne ich die anderen Runendinge nicht. Aber du wolltest wissen, wie es zum Streit kam.

Also, ich war siebzehn, und damit mußte ich zum Fryd, das ist unser Bauernaufgebot, wenn das Kloster Weretina, auf dessen Grund wir leben, Soldaten braucht.

Godewin hatte mir sein Schwert gegeben, weil er zu alt sei. Herr Rodegar, der Vogt vom Kloster ist und uns anführt, sagte das Schwert sei eine Rittterwaffe. Er muß es wissen, ist er doch Ritter, aber da ich auch den Spieß hatte, den wir vom Fryd tragen müssen, ließ er es gut sein.

Es war in dem Winter, als der Fluß zufror und Vater den Vogt deshalb um Steuernachlaß bitten mußte, weil alle zu Fuß über das Eis gingen. In dem Winter kamen auch die Wölfe, die die Menschen angriffen, große, böse Tiere, deren Rudel von riesigen Wölfen angeführt wurden, die Godewin als Warge bezeichnete. Also, in dem Winter stand ich mit dem Schäfer Sepp, Mattes, dem Köhler-Enno und meinem Bruder Ludger Wache an dem Schafstall des Klosters, unter dem Kommando von Bruder Stefan, obwohl Sepp mehr vom Schafehüten versteht.

Es war nacht, und dann hörten wir die Wölfe heulen. Sie waren nah. Und dann heulten sie wieder, und nun waren sie ganz nah. Dann fing Greif, Schäfer-Sepps Hund, an zu knurren. Die Wölfe waren da, mehr als ein ganzes Dutzend, mit gelben Augen und lefzenden Fängen. Sie hatten Hunger, mager, mit Gier in den Augen. Sepp hatte auf drei Seiten des Stalles Feuer angezündet, auch wenn Bruder Stefan gesagt hatte, das sei eine Verschwendung von Holz. Er meinte, einer von uns auf jeder Stallseite sei genug gegen die Wölfe. Sepp hat's trotzdem gemacht, und es war richtig. Wir standen alle an der letzten Seite des Stalles, mit den Spießen in der Hand. Drinnen spürten die Schafe die Gefahr und blökten verängstigt. Ehrlich, ich weiß auch nicht, ob ich vor Kälte gezittert habe oder vor Angst. Uns gegenüber sammelte sich das Wolfsrudel.

In dem Augenblick sah ich ihn, den Anderweltwolf, den Warg, der das Rudel führte. Er war wirklich riesig, vom Boden bis zum Rücken vielleicht vier Ellen. Seine Augen waren rot wie die schwarzen Steine, die man manchmal findet, wenn man sie in die Glut legt. Er heulte einmal, und es war schrecklich. Der Köhler-Enno hat sich in die Hosen gemacht vor Angst. Das Heulen war der Angriffsbefehl. Die Wölfe kamen und griffen uns an, und der Warg blieb stehen. Wir haben um unser Leben gekämpft, selbst der Köhler-Enno, der immer ein Feigling war, nur Bruder Stefan nicht, denn der hat für uns gebetet. Der Schäfer-Sepp hat drei Wölfe erschlagen an dem Abend mit seinem Eisenstab, Ludger hat einen mit seinem Bogen und einen mit dem Spieß getötet und ich hatte auch einen mit dem Spieß und einen mit Godewins Schwert. Die anderen Wölfe sind geflüchtet, zurück zu ihrem Leittier. Dort sammelten sie sich, und dann kamen sie nochmals. Wir haben sie wieder vertrieben, aber diesmal hatten sie Mattes und den Köhler-Enno verletzt. Der Köhler-Enno kann seitdem nur noch hinken, denn Bruder Antonius mußte ihm im Frühjahr dann das Bein absägen.

Beim drittenmal kam dann der Warg mit, und hat den Schäfer-Sepp umgebracht, während mein Bruder Ludger und ich die anderen Wölfe mit Fackeln von der Tür des Schafstalles abhielten. Sie flohen gerade in dem Augenblick, als der Warg dem Schäfer-Sepp die Kehle durchbiß. Der Greif hat den Totenwolf noch angegriffen, aber das hat dem Sepp nicht mehr geholfen, und den Greif hat der Warg dann auch totgebissen. Wir waren vollkommen entsetzt, richtig steif. Der Warg sah auf von Greifs Leiche, blickte Ludger und mich an. Es war ein Blick der Verachtung, wenn diese Wesen so etwas wie Verachtung kennen. Anschließend senkte er seinen Kopf und begann, den Schäfer-Sepp zu fressen. Daß der Bruder Stefan aus dem sicheren Stall heraus dem Satan befahl, das sein zu lassen und in seine Hölle zurückzukehren, hat den Warg nicht gestört. Vermutlich hörte er nicht auf den Namen Satan.

Also, ich wurde wütend. Der Sepp war immer ein netter Mann gewesen, der uns Kinder immer mit Greif - alle seine Hunde hießen so - hatte spielen lassen und der alle Plätze kannte, wo es Beeren oder Pilze gab. Und jetzt wollte ihn dieser Warg einfach fressen. Das ging doch nicht. Dann hätte ja die Beerdigung nicht stattfinden können, und die Anna, die Frau vom Sepp, hätte nichtmal ein Grab gehabt, um daran für den Sepp zu beten. Ich sagte also zu Ludger: "Bruder, paß auf die Tür auf. Wenn ich wieder aus dem Stall komme, hau ich das Vieh tot."

Ludger nickte und sagte dann: "Du, Enno, ich habe gesehen, daß der Sepp dem Vieh seinen Knüppel mit voller Wucht auf'n Kopp gehauen hat, und es ist nicht umgefallen wie die anderen Graufelle."

Ich hatte das gesehen, deshalb antwortete ich ihm: "Ja, Ludger, ich habe es gesehen. Erinnerst du dich, daß Godewin über Warge gesagt hat, sie seien nur mit besonderen Waffen zu töten. Deshalb gehe ich ja zuerst in den Stall."

"Und was willst du dann im Stall, Enno?"

"Godewin hat mir gesagt, wie man sein Schwert zu einem besonderen Schwert macht. Dabei kann ich aber nicht zugleich das Vieh beobachten. Deshalb gehe ich in den Stall."

"Und wenn du wieder rauskommst, haust du das Vieh tot."

"Wenn ich wieder rauskomme, haue ich es tot."

"Dann geh' mal in den Stall, Enno, und mach' hinne."

Ich ging rein, hockte mich in die Ecke. Ich bereitete alles vor, wie Godewin es mir so oft gezeigt hatte: Der Griff der Waffe mußte in Richtung Asgards weisen, also grob nach Norden. Als nächstes kratzte ich die Zauberrunen mit meinem Messer in den festgestampften Lehmboden des Stalles: Das S für den Sieg, das A der Asen, das hilfreiche H und nochmals das S für den Sieg, einmal neben jeder Seite der Klinge von Godewins altem Schwert, von dem er sagte, es sei von der Art einer Sax. Ob es ein Zufall ist, daß diese Klingenform ebenso klingt wie die Reihe der Zauberrunen, wenn man sie ausspricht? Godewin hat mir diese Frage nie beantwortet.

Mit dem Ritzen der Runen waren die Vorbereitungen beendet und ich konnte die Worte sprechen, die nicht niedergeschrieben werden dürfen, deshalb nenne ich sie nicht. Ich sprach die Worte laut und nahm dann das Schwert auf. Das Heft der Waffe war warm, trotz der eisigen Temperatur der Winternacht. Die breite Klinge erschien mir nun heller zu glänzen als zuvor und auch leichter und besser zu greifen. Das war die Macht von Godewins Runen!

Ich stand auf und wendete mich zum Stalltor. Draußen stand mein leiblicher Bruder Ludger dem bösen Warg gegenüber. Draußen fraß der Warg den Schäfer-Sepp, der an meiner Seite gekämpft hatte. Ich wollte hinausgehen und dem Warg die Macht der Runen beweisen. Ich war entschlossen wie nie zuvor in meinem Leben.

Ich wollte Bruder Stefan wirklich nicht die Zähne herausschlagen, ich schwör's bei allem, was mir heilig ist, aber er hätte sich nicht zwischen mich und das Stalltor stellen sollen. Er hat gesagt, ich sei kein guter Mensch, weil ich Hexerei betrieben und das Sax bezaubert hätte, aber deswegen habe ich ihn nicht geschlagen. Er stand wirklich nur zwischen mir und der Stalltür. Ich kann mich nicht einmal erinnern, daß ich ihn geschlagen habe, aber Mattes und der Köhler-Enno haben es gesehen und ihre Aussagen vor Bruder Remigus auf die Bibel geschworen, also muß ich es getan haben. Aber wenn Bruder Stefan sich nicht so blöd eingemischt hätte, hätte ich ihn bestimmt nicht geschlagen. Aber Bruder Stefan war ja schon immer ein ständiger Besserwisser. Daß er zwei Zähne verloren hat, hat niemand im Dorf richtig bedauert. Es war doch wirklich blöd, mich daran hindern zu wollen, den Warg totzuschlagen und die Leiche vom Schäfer-Sepp zu holen. Selbst Abt Remigus, und er ist schließlich als Abt Oberhaupt über Bruder Stefan, sagte, daß es gut sei, daß der Warg tot sei und der Schäfer-Sepp ordentlich begraben. Trotzdem war Abt Remigus nicht sehr froh darüber, denn die Sache mit dem Schwert fand er nicht so gut, und Bruder Stefan hätte ich auch nicht schlagen sollen. Bruder Stefan wollte mich dafür als Hexer verbrennen lassen, aber Abt Remigus ist ein gerechter Mann. Er sagte, die Runen, die ich könnte, seien keine Hexerrei. Niemand sei dadurch zu Schaden gekommen, aber dennoch könne er es nicht dulden, daß jemand auf dem Land des Klosters Runenritzerei betreibe. Ich sollte gehen, und mich nie wieder auf den Ländereien des Klosters blicken lassen. Und das habe ich dann auch gemacht. Es war also wirklich nur ein kleiner Streit, wegen dem ich weg bin."